Gott spricht: Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. (Offenbarung 21,6)


Gemeinde des Herrn Jesus Christus, Schwestern und Brüder,

im September 2017 erhielt der amerikanische Rechtsanwalt Robert Bilott den „Right Livelihood Award“ – auch bekannt als „Alternativer Nobelpreis“. Robert Bilott führt seit 1999 Jahren einen Kampf gegen den Chemieriesen DuPont. Das Unternehmen hat jahrelang Rückstände der hochgiftigen Chemikalie PFOA in den Ohio-River eingeleitet und in seiner Fabrik in Parkersburg in West-Virginia die Substanz so unverantwortlich gelagert, dass sie ins Grundwasser gelangte. Folge: Den Bauern der Umgebung verendete Vieh, Tiere erkrankten auf geheimnisvolle Weise, Kälbchen wurden mit Missbildungen geboren. Robert Bilott hatte als Anwalt mit Schwerpunkt Umweltrecht bis dahin Chemieunternehmen verteidigt – aber der Skandal, den er Stück um Stück bei DuPont ans Licht brachte, ließ ihn die Seite wechseln. Bilott fand heraus, dass die 70.000 Bewohner der Gegend – teilweise seit Jahrzehnte – verseuchtes Wasser getrunken hatten. Medizinische Untersuchungen zeigten schließlich, wie gravierend die Auswirkungen waren: Krebs, Schilddrüsenerkrankungen, hohe Cholesterinwerte, Problemschwangerschaften und Darmkrankheiten ließen sich teilweise sicher auf die Schadstoffbelastung des Wassers zurückführen. Im Jahr 2000 wurde die Produktion von PFOA eingestellt – nach weiteren 17 Jahren harter juristischer Auseinandersetzungen zahlte DuPont Anfang 2017 671.000.000 Dollar an Entschädigungen an die Opfer der Umweltverseuchung. Ein gewaltiger Erfolg Bilotts, den zu Beginn seines Kampfes keiner erwartet hatte.

Schwestern und Brüder,
sauberes Wasser ist Leben – schmutziges Wasser bringt den Tod.
Die Losung für 2018 kann als Ermutigung für Umweltaktivisten im Kampf um sauberes Trinkwasser für alle gelesen werden: Gott spricht: Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.
Menschen und Tiere müssen ihren Durst stillen, darum sind sie auf Wasser angewiesen – und sie trinken, was sie bekommen. Viele Millionen Menschen weltweit und wohl noch mehr Tiere bekommen nicht genug Wasser, weil die natürlichen Vorräte erschöpft sind, weil das Abpumpen von Wasserreserven als Mittel im Kampf zwischen Staaten eingesetzt wird oder weil Wasserrechte zu Spekulationsmitteln werden. In vielen Ländern der Welt ist das „Trinkwasser“ nicht zum Trinken geeignet, die Menschen werden dadurch krank.
Bei meiner ersten Teilnahme an der Synode der North American Lutheran Church im Juli 2014 im subtropisch heißen Charleston in South-Carolina bekamen wir alle Wasserflaschen ausgehändigt, die wir an den Trinkwasserspendern immer wieder füllen konnten. Verteilt wurden die Flaschen von einer christlichen Missionsorganisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, in Entwicklungsländern Brunnen anzulegen und für sauberes Wasser zu sorgen – den Durstigen Wasser des Lebens zu bringen und ihnen dadurch ganz anschaulich das Evangelium zu bezeugen.   

Schwestern und Brüder,
in der Juli-Hitze South-Carolinas verstanden alle sofort, wie gut und wichtig diese Art der Verkündigung ist. Das Wort unserer Jahreslosung hat in diesem Sinne eine ganz buchstäbliche Bedeutung – aber darin allein geht es nicht auf.
Durst – das Wort allein spricht von mehr als dem Bedürfnis des ausgetrockneten Körpers nach Wasser.
Wenn wir unsere Kerm feiern, denkt wohl bei dem Ruf „Durst“ keiner an Wasser – eher schon an ein frisch gezapftes Helles oder an einen gut eingeschenkten Schoppen. Das ist sicher kein Durst im engen Sinn des Wortes – aber irgendwie ist doch welcher. Ein Durst nach Fröhlichkeit, nach Gemeinschaft, nach der tollen Erfahrung: „Wir sind ein Ort und wir halten zusammen“ – und dieser Durst ist mit der Hoffnung verbunden, dass das Zusammengehörigkeitsgefühl über den Kirchweihdienstag hinaus anhält.
So wie es in einem Trinklied heißt: „Was wollen wir trinken sieben Tage lang? Was wollen wir trinken, so ein Durst?“ Aus dem gemeinsamen Feiern folgt das gemeinsame Schaffen, ja, sogar der gemeinsame Kampf: „Dann kriegt der Frust uns nicht mehr klein, / wir halten zusammen, / keiner kämpft allein / wir gehen zusammen / nicht allein.“
Ja – der Durst hat eine tiefe Dimension. Der Jugendliche verspürt den „Durst nach Freiheit“, den Schlagersänger dürstet nach Liebe und der unterdrückte Mensch spürt den Durst nach Gerechtigkeit.
Der Spruch der kölschen Theaterlegende Willy Millowitsch scheint zutreffend: „Alles ist vergänglich, / nur der Durst bleibt lebenslänglich!“  

Schwestern und Brüder,
diesen Durst nach Gemeinschaft, nach Freiheit, nach Liebe, nach Gerechtigkeit können wir mit den Mitteln dieser Welt nicht stillen – diesen Durst löscht keine Maß, keine Silvesterparty ohne Eltern, kein Internet-Chat und keine Rachephantasie. Dieser Durst ist letztlich der Durst nach Leben – nach erfülltem Leben, nach heilem und geheiltem Leben, nach Leben in Ewigkeit. 
Diesen Durst – so sagt es uns die Jahreslosung – kann nur Gott stillen. Er gibt uns von der Quelle des lebendigen Wassers zu trinken.
Das Wasser, das Gott uns zu trinken gibt, ist lebendiges Wasser: kein totes, abgestandenes, brackiges Wasser, sondern sprudelndes, frisches, reines Wasser. Wasser, von dem wir leben können, Wasser, das Leben schenkt.
Dieses Wasser ist der Glaube an seinen Sohn, Jesus Christus, den Gott durch den Heiligen Geist in uns wirkt! Jesus Christus sagt über diesen Glauben: Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.
Warum kann Jesus Christus unseren Durst stillen, den nichts auf dieser Welt stillen kann?
Schauen wir noch einmal auf den Durst des Menschen in seiner tiefen Bedeutung!
Dich dürstet nach Gerechtigkeit? Das alte Sprichwort sagt: „Vor Gericht bekommst du ein Urteil, aber keine Gerechtigkeit!“ Jesus aber ist – wie die Schrift sagt – „unsere Gerechtigkeit“ (Jeremia 23,6). Er stellt die durch die Sünde zerstörte Gerechtigkeit wieder her. Die Sünde ist der unüberwindliche tiefe Graben zwischen dem heiligen Gott und uns sündigen Menschen – das Wort kommt von Sund. Über diesen Sund – der breiter und tiefer ist als der  berühmte Öre-Sund – baut Christus eine Brücke, diese Brücke ist sein Kreuz. Am Kreuz kommen Gott und Mensch zusammen – hier findet sich, was getrennt war.

Schwestern und Brüder, erinnert Ihr Euch an die Glienicker Brücke? Heute ist die Havelbrücke in Berlin eine Brücke wie andere auch – aber vor der Wende war sie ein Symbol der Freiheit. Nirgends kamen sich die verfeindeten Machtblöcke Ost und West so nahe wie hier. Hier wurden im Kalten Krieg gefangene Agenten ausgetauscht, hier ereigneten sich spektakuläre Fluchten aus der DDR nach Westdeutschland, hier lagen sich die Menschen unseres geteilten Vaterlands nach der Maueröffnung in den Armen. So werden alle, die auf der Brücke der Gerechtigkeit – dem Kreuz Christi – den Sund der Sünde überqueren, in die Arme ihres himmlisches Vaters laufen. Das wird ein Jubel, das wird ein fröhliches Willkommen, das wird eine Feier der Vereinigung von Gott und Mensch ohne Ende werden!

Dich dürstet nach Freiheit? Zur Freiheit hat uns Christus befreit (Gal 5,1)! Christus macht uns frei von der Sünde, die uns zu Boden drückt – sein „Kreuz ist“, wie der große mittelalterliche Theologe Bernhard von Clairvaux sagte, „eine Last von der Art, wie es die Flügel für die Vögel sind. Sie tragen sie aufwärts.“ Die Freiheit, die Christus uns schenkt, ist eine wahrhaft himmlische Freiheit – es ist die Freiheit vom Tod. Nichts kann uns binden, nichts kann uns halten, wenn selbst die Fesseln des Todes für uns zerschnitten sind.

Dich dürstet nach Liebe? Ich wünsche Dir von ganzem Herzen die wunderbare Erfahrung menschlicher Liebe! Aber wir alle wissen: Auch in der innigsten menschlichen Liebe bleibt ein Abstand. Selbst unter ehrlich Liebenden gibt es Streit und viele große Liebesgeschichten enden tragisch! Die tiefste Sehnsucht nach Liebe kann allein Gott stillen, der nicht nur Liebe gibt, sondern der Liebe ist! Gott ist die Liebe (1. Joh 4,16) – wie die Heilige Schrift sagt – und seine Liebe will dich durchdringen! Jetzt und in Ewigkeit!  

Dich dürstet nach Gemeinschaft? Die Kirche aus allen Völkern, Kulturen, Sprachen, Generationen und sozialen Schichte – zusammengeführt und zusammengehalten allein durch den liebenden Gott – sie gibt dir einen Vorgeschmack der Gemeinschaft, die Dich erwartet im Reich Gottes. Jesus vergleicht diese Gemeinschaft mit einem Hochzeitsfest, das nie ein Ende hat! Und Du darfst dabei sein!

Gemeinde des Herrn Jesus Christus, Schwestern und Brüder,
es ist wichtig und gut den körperlichen Durst der Menschen mit lebendigem Wasser zu stillen – aber auch, wo Wasser im Überfluss vorhanden ist, bleibt ein Durst zurück – diesen Durst kann nur Gott stillen. So rufe ich Euch zu mit den Worten des Propheten Jesaja (55,1): Wohlan, auf, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Gott verheißt Euch, er verheißt gerade Dir: Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst! Amen.

Ihr Pfarrer Martin Fromm