In vielen Häusern wird am Heiligen Abend eine Krippe aufgebaut. Egal ob die Krippe aus Holz geschnitzt, aus Pappmaché geformt oder aus Plastikfiguren zusammengestellt wurde, egal wie alt oder neu sie sein mag – sie verkündet bildmächtig die biblische Botschaft: „Heute ist euch der Heiland geboren, Christus, der Herr.“ Jede einzelne Krippenfigur hat ihre eigene Bedeutung für die ganze weihnachtliche Szene:
Da haben wir Maria:
Maria hat wohl, wie jede Mutter, ihre eigenen Hoffnungen und Pläne für das Kind Gottes, das sie unter dem Herzen trägt. Sie will es in vertrauter Umgebung zur Welt bringen, liebevoll pflegen, ihm an weicher Wiege das Schlaflied singen – statt dessen muss sie erst einmal mit Josef zur Volkszählung nach Bethlehem wandern, sich erschöpft und müde um eine Herberge kümmern, schließlich bringt sie ihr Kind in einem Stall zur Welt. So hat sie sich das wahrlich nicht vorgestellt – aber so hat es Gott gefügt.
Maria muss lernen, Gott zu vertrauen, dort wo es nicht nach ihrem, sondern nach SEINEM Willen geht. Als der Engel Gabriel ihr ankündigte, sie würde vom Heiligen Geist den Sohn Gottes empfangen, sagte sie: „Ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe, wie du gesagt hast.“ Dieses Wort muss sie immer wieder sagen lernen. Am schmerzlichsten und härtesten fällt ihr dies unter dem Kreuz – an dem ihr geliebter Sohn und Herr stirbt.
Maria ist für uns Christen ein Vorbild: Sie stellt ihre eigenen Wünsche zurück, um sich ganz Gottes Willen zu fügen und darauf zu vertrauen: „Was Gott tut, das ist wohlgetan.“
Gott führt uns alle, jeden von uns mitunter Wege, die wir nicht verstehen, die schwer für uns sind und die zu gehen, große Demut und Selbstüberwindung von uns verlangt. Hier kann uns nur das feste Vertrauen Marias tragen: „mir geschehe, wie du gesagt hast“. Ihr Sohn, der Sohn Gottes, Jesus, wird uns genau dies beten lehren: „dein Wille geschehe“.
Blicken wir auf die Weisen aus dem Morgenland:
Einen weiten Weg geführt werden die Weisen aus dem Morgenland. Ihr Weg führt nicht nur über 1000 Kilometer von Mesopotamien nach Israel, der innere, den sie zurücklegen, ist mindestens ebenso weit. Er führt sie aus der bis heute existierenden Religion des Zoroastrismus zu Jesus Christus, aus der Astrologie zum Stern aus Jakob. Aber während diese ganz fern stehenden Menschen zu Christus kommen, bleiben die Menschen in der Nähe unberührt von der Geburt des Gottessohnes. Die Bürger von Bethlehem, die Nachbarn aus Nazareth, die Priester aus Jerusalem kommen nicht. Für sie ist die Geburt im Stall von Bethlehem nicht der Rede oder gar der Verehrung wert.
Diese alte Geschichte ereignet sich auch heute noch: Die Zahl der Christen wächst mit jedem Tag. In Afrika und in Asien wird die Kirche groß und immer größer. Aus Ahnenkult und Dämonenglauben, aus einfachem Fetischismus und aus hochgeistigen Religionsphilosophien finden Menschen zu Jesus, bekehren sich, beginnen ein neues Leben – besser gesagt: Jesus findet sie, der Heilige Geist bekehrt sie, Gott, der Vater, schenkt ihnen ein neues Leben.
Aber in unserem – seit weit über tausend Jahren christlichem – Land geht die Bedeutung der Kirche Schritt um Schritt zurück, verlassen Menschen die Gemeinschaft, wollen nicht länger als Christen leben. Wir müssen uns aus unserer bequemen Ruhe aufstören lassen und von den Christen anderer Erdteile lernen, wie Mission geht. Wie wir sie die zu dem rufen, der das Licht der Heiden und der Preis Israels ist.
Wenden wir uns zu den Hirten:
Die Armut – sie haben wir an der Krippe in der Gestalt der Hirten. Sie sehnen sich nach Gerechtigkeit. Gerade vor Weihnachten steigt der Schrei nach Gerechtigkeit von besonders vielen Lippen. Wieviel Unrecht gibt es in dieser Welt, Hunger neben Überfluss, bitterste Not neben Luxus?! Wir Christen versuchen die Ungerechtigkeit zu lindern, indem wir mit den Notleidenden teilen: „Hilfe für Brüder“, „Brot für die Welt“, „Weihnachten im Schuhkarton“ sind drei solcher Versuche, den Armen zu zeigen: Wir verachten euch nicht, wir stehen an eurer Seite. Denn Jesus selbst steht an eurer Seite – und verheißt den Armen das Himmelreich.
Zur Krippe gehören die Engel:
Gerade in der Weihnachtszeit haben Engel Saison. Engel im Schaufenster, Engel am Tannenbaum, Engel auf Weihnachtskarten und als Briefaufkleber. Manche geschmackvoll, andere kitschig, manche Ehrfurcht gebietend, andere zuckersüß. In der Weihnachtsgeschichte sind sie Boten der Hoffnung: Frieden auf Erden.
Eine der gefährlichsten Städte der Welt ist Ciudad Juárez in Nordmexiko. Drogenkriminalität, Mafiamorde, korrupte Polizisten prägen das Bild der Stadt. Aber gerade hier hatte sich eine Gruppe junger Christen im Geiste Jesu zum Kampf für Gerechtigkeit zusammen getan. Verkleidet als Engel stellten sie sich an die Straßen der Stadt und forderten mit großen Plakaten die Verbrecher zur Umkehr auf: „Mörder: Jesus Christus liebt dich – bereue.“ Und die Leute in der Stadt, in der in drei Jahren 10.000 Menschen ermordet wurden, danken es ihnen: „Sie haben uns neue Hoffnung geschenkt“ – sagen sie. Inzwischen haben junge Christen aus anderen Brennpunkt-Städten in Mexiko die Idee übernommen – damit die Engelsbotschaft vom Frieden nicht untergeht, sondern endlich, endlich Wirklichkeit wird in Ciudad Juárez.
Die Futterkrippe selbst birgt das Jesuskind:
Jesus kommt als der Christus, der Messias, der Heiland in unsere Welt mit all ihren Wünschen, ihren Hoffnungen und Sehnsüchten. Gott wird Mensch! Die Erlösung, die er bringt, verläuft anders, als die Menschen es sich vorstellen: Nicht mit Macht und Gewalt, sondern in Ohnmacht und Gewaltlosigkeit: In der Niedrigkeit von Krippe und Kreuz. Der Friede, den er bringt, ist der Friede des Herzens, und wo Menschen diesen Frieden in sich tragen, da strahlen sie ihn aus, da wird Hass und Unrecht überwunden.
Jesus erlöst uns von Sünde und Tod – und öffnet uns den Himmel, wenn wir ihm glauben und vertrauen.
Zuletzt kommen wir zu Josef:
Josef wird in allen Krippen an den Rand gerückt – so sehr, dass er in manchen Darstellungen völlig fehlt: Josef, den Mann Marias und Adoptivvater Jesu. Der den Sohn Gottes als seinen Sohn annimmt und heranwachsen lässt – und ihn doch nie daran hindert, dem Weg zu folgen, den sein himmlischer Vater ihn gewiesen hat.
Dieser Josef ist einfach da. Sonst nichts. Er ist da in der Nähe seines Herrn. Für mich ist Josef – gerade dadurch – ein Bild für den Gläubigen. Er tut nichts besonderes, er drängt sich nicht ins Bild, er hat kein Problem damit, übersehen zu werden, denn es geht ihm absolut nicht um sich selbst, sondern allein um Jesus.
Oft sind es solche einfachen, stillen, frommen Menschen, die uns ein starkes Vorbild im Glauben geben. Wir werden wohl nie – oder erst im Reich Gottes erfahren – was sie durch ihr Gebet, ihre wortlose Verkündigung, ihre Nächstenliebe für die weltweite Kirche geleistet haben. Wie oft sie – ganz buchstäblich – die Gemeinde auf ihren schwachen Schultern getragen haben, indem sie selbst auf Jesus blickten und den Blick anderer auf Jesus gelenkt haben.
- Ich steh an deiner Krippen hier,
o Jesu, du mein Leben;
ich komme, bring und schenke dir,
was du mir hast gegeben.
Nimm hin, es ist mein Geist und Sinn,
Herz, Seel und Mut, nimm alles hin
und lass dir’s wohlgefallen.
- Ich sehe dich mit Freuden an
und kann mich nicht satt sehen;
und weil ich nun nichts weiter kann,
bleib ich anbetend stehen.
O dass mein Sinn ein Abgrund wär
und meine Seel ein weites Meer,
dass ich dich möchte fassen!
So wünsche ich Ihnen allen ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest!
Ihr Pfarrer Martin Fromm