Morgen feiern wir um 9.00 Uhr in Wiesentheid und um 10.15 Uhr in Rüdenhausen Gottesdienst mit Heiligem Abendmahl. Eigentlich sollten die Gottesdienste zum Sonntag der Partnerschaft mit dem lutherischen Seminar in Logaweng/PNG sein. Wegen des Krieges in der Ukraine halten wir nun Friedensgottesdienste.

Hier die Predigt von Pfarrer Fromm zum Friedensgottesdienst:

So steht geschrieben im 5. Buch Mose im 27. Kapitel: Mose gebot dem Volk an diesem Tage und sprach: Die Leviten sollen anheben und zu allen Männern Israels mit lauter Stimme sagen: Verflucht sei, wer einen Götzen oder ein gegossenes Bild macht, einen Gräuel für den HERRN, ein Werk von den Händen der Werkmeister, und es heimlich aufstellt! Und alles Volk soll antworten und sagen: Amen. Verflucht sei, wer seinen Vater oder seine Mutter verunehrt! Und alles Volk soll sagen: Amen. Verflucht sei, wer seines Nächsten Grenze verrückt! Und alles Volk soll sagen: Amen.

 

Schwestern und Brüder,

vierzig Jahre ist das Volk Israel durch die Wüste gewandert – nun steht es vor dem Einzug in das gelobte Land. In diesem entscheidenden Moment, dem das Volk vierzig lange, schwere Jahre entgegengefiebert hat, soll es sich noch einmal bewusst machen, was der Herr von ihm fordert. Es ist eine eindrucksvolle Szene, die die Bibel beschreibt: Während das Volk zwischen den Bergen Garizim und Ebal hindurch dem Land der Verheißung entgegen zieht, werden ihm vom einen Berggipfel Segensworte zugesprochen – vom anderen aber erklingen Fluchformeln. Das Volk soll beides durch sein Amen bekräftigen! Die Botschaft lautet: „Wenn du nach Gottes Willen lebst, wirst du im Lande gesegnet sein, das der Herr dir gibt! Verlässt du aber Gott und seinen Willen, so trifft dich sein Fluch.“

 

Schwestern und Brüder,

was heißt nach Gottes Willen leben? Die Bibel nennt – und zwar in genau dieser Reihenfolge:

  1. Ehre Gott und bete keine fremden Götter an!
  2. Erweise deinen Eltern Respekt!
  3. Verrücke keine Grenzsteine!

Erst nach dem Verbot, an den Grenzen zu rütteln, kommen allgemeine Verhaltensregeln: Keinen Blinden auf den falschen Weg zu führen, Fremde, Witwen und Waisen nicht zu unterdrücken usw. Sogar der Fluch gegen den, der aus dem Hinterhalt mordet, folgt erst später!    

 

Schwestern und Brüder,

das Verbot, Grenzsteine zu verrücken und Grenzen aufzuheben, ist in der Bibel so wichtig, dass es sechsmal an verschiedenen Stellen eingeschärft wird! Ein ganzes biblisches Buch, nämlich das Buch Josua, beschäftigt sich mit den exakten Grenzverläufen zwischen den Stämmen Israels. Das mag für den Leser nicht unbedingt spannend sein – es ist halt genauso, wie das Lesen einer politischen Landkarte – aber es zeigt: Gott will Grenzen zwischen Völkern und Staaten! Warum? Weil es ohne genau geklärte Grenzverläufe keinen stabilen Frieden geben kann! Gott aber ist ein Gott des Friedens – und darum ist Gott auch ein Schützer der Grenzen!

 

In den letzten Jahren hat die Politik fast täglich über offene und geschlossene Grenzen diskutiert, über Wiedereinführung von Grenzkontrollen und Grenzöffnungen, über Obergrenzen oder Unbegrenztheit bei der Aufnahme von Migranten.

Bei allen verschiedenen Ansichten, die man haben kann, und allen unterschiedlichen Entscheidungen, die getroffen wurden, kommen wir als Christen an der GRUNDSÄTZLICHEN biblischen Feststellung nicht vorbei: Es gibt keinen Frieden ohne Grenzen!

Beim Nachbarschaftsstreit, beim Konflikt unter Ortsgemeinden, beim Krieg zwischen Staaten – stets geht es um Grenzen und um Grenzüberschreitungen!

Was passiert, wenn große Staaten mit einer gewaltigen Militärmacht die Grenzen ihrer kleineren Nachbarstaaten nicht achten, erleben wir gerade in der Ukraine.

Präsident Putin versucht, die Grenzen, die sich nach dem Zerfall der Sowjetunion gebildet haben und durch die früher von Russland beherrschte Völker Freiheit und Unabhängigkeit gewonnen haben, niederzureißen.

 

Nun ist die Ukraine zum Opfer russischer Aggression geworden – mit all dem Elend, das der Krieg mit sich bringt. Ich gestehe: Als jemand, der sein ganzes bisheriges Leben im Frieden verbringen durfte, sprengt es meine Vorstellung, was die Menschen in der Ukraine gerade erleben. Ich sehe die Bilder von zerstörten Häusern, brennenden Industrieanlagen, von rollenden Panzern, feuernden Geschützen, Soldaten auf Patrouillengängen – und es schneidet mir ins Herz.

Die Filmaufnahmen von einem völlig verängstigten Kind in einem U-Bahn-Tunnel, das unter Tränen sagt: „Ich will nicht sterben“, verfolgen mich. Die Auftritte von Präsident Selenskyj sind eindrucksvoll, gerade weil ihnen jeder Fanatismus fehlt – er weiß sich auch im Krieg mit dem russischen Volk verbunden. Umso schockierender sind die Reden von Wladimir Putin, der jedes Maß verloren zu haben scheint.

Es ist beeindruckend, wie viele Russen immer noch den Mut finden, gegen diesen Krieg auf die Straße zu gehen – obwohl sie harte Maßnahmen des Regimes fürchten müssen.

        

Und keiner von uns weiß, ob eine mögliche Einnahme der Ukraine das Ende der Grenzverschiebungen in Europa wäre – scheint doch Wladimir Putin eine Wiederherstellung der Sowjetunion und ihres Einflussbereichs anzustreben. Selbst Finnland wurde inzwischen unverhohlen mit Krieg gedroht, sollte es der NATO beitreten. Dass das gar nicht auf dem Programm der finnischen Regierung steht, schließt leider – wie die Invasion der Ukraine zeigt – Gewaltanwendung für den Kreml nicht aus. 

 

Selbstkritisch muss sich die deutsche Politik fragen, ob sie genug für die Sicherung der Grenzen getan hat. Nicht nur der deutschen Grenzen, auch der Grenzen unserer Verbündeten und Freunde. Es ist bedrückend, dass Bundeswehrsoldaten in Litauen darüber klagen, keine ausreichende Winterausrüstung zu haben; dass der Generalinspekteur des Heeres die Truppe als „blank“ beschreibt und die ehemalige Verteidigungsministerin bekennt: „Wir haben die Lehre von Schmidt und Kohl vergessen, dass Verhandlungen immer den Vorrang haben, aber man militärisch so stark sein muss, dass Nichtverhandeln für die andere Seite keine Option sein kann.“

 

Ja, Schwestern und Brüder, die Bibel hat Recht, wenn sie dazu aufruft die Grenzen zu achten, zu schützen und sie unangetastet zu lassen. Sie nimmt dabei die Starken in die Pflicht:

 „Verrücke nicht uralte Grenzen und vergreife dich nicht am Acker der Waisen, denn ihr Helfer ist mächtig; der wird ihre Sache gegen dich führen!“ (Buch der Sprüche 23,10)

Gott stellt sich an die Seite der Schwachen, deren Zäune und Grenzabsperrungen niedergerissen werden! An die Seite des elternlosen Jungen, dessen Acker sich ein wohlhabender Nachbar unter den Nagel reißt, an die Seite des schwachen Landes, dass einem übermächtigen Staat zum Opfer fällt. Wir Deutschen wissen aus unserer Geschichte: Dauerhaft lässt sich gegen den Willen der Bevölkerung kein Land beherrschen. Trotz aller anfänglichen militärischen Erfolge und kriegerischen Eroberungen ging das selbsternannte 1000-jährige Reich der Nazis nach 12 Jahren unter. Andererseits kapitulierte die von der Sowjetunion gestützte, waffenstarrende DDR vor einem Kerzenmeer.       

 

Schwestern und Brüder,

Frieden unter Menschen, Völkern und Staaten ist nur dort möglich, wo man die eigenen Grenzen anerkennt und die Grenzen der anderen achtet.

Der Frieden dieser Welt – genauer gesagt!

 

Denn: Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft – der überwindet Grenzen.

Jesus Christus selbst ist unser Friede, der aus beiden eines gemacht hat und den Zaun abgebrochen hat, der dazwischen war, nämlich die Feindschaft.

Paulus spricht im Epheserbrief von Juden und Heiden, die durch das Opfer Christi am Kreuz beide mit Gott versöhnt wurden. Sie, zwischen denen die Grenzen scharf gezogen waren, zwischen denen sich – bildlich gesprochen – eine unüberwindliche Mauer erhob, hat er durch den Glauben zusammengebracht. Er hat die, die unüberbrückbar getrennt waren, in der einen Kirche vereint und sie gemeinsam zur Familie Gottes gemacht. Sie nennen miteinander Gott ihren himmlischen Vater, sie sind in der Gemeinde Jesu Schwestern und Brüder.

Das Wort des Apostels weist über das Verhältnis von jesusgläubigen Juden und Heiden hinaus. Es betrifft alle Christen, zwischen denen sich Grenzen der Nation oder der Konfession auftun.   

 

Schwestern und Brüder,

es ist eine furchtbare Tragödie, wenn Christengeschwister so – wie nun in der Ukraine – gegeneinander in den Krieg ziehen. Sie zerreißen damit den Leib Christi, fügen ihm tiefe Wunden zu. In den Kirchen Russlands und der Ukraine wird in diesen Tagen gewiss viel gebetet. Wie sollte Christus nicht das Herz bluten, wenn orthodoxe Ukrainer darum flehen, dass orthodoxe Russen an ihrem Vormarsch gehindert werden können, während orthodoxe Russen um den Sieg ihrer Truppen bitten. Wenn in der Ukraine und in Russland Mütter vor der Ikonenwand Kerzen für das Leben ihrer Söhne entzünden.  Als Jesus vor 2.000 Jahren über die Jerusalem blickte, brach er in Tränen aus, weil sie nicht erkannt hatte, was zum Frieden dient. Gewiss weint er auch heute. Sind doch die, die auf beiden Seiten fallen, von ihm geliebte Kinder des himmlischen Vaters. Sind doch die, die auf beiden Seiten töten, von ihm gerufen: „Bleibt in meiner Liebe.“ Sind doch die, die nun fliehen müssen und die, die sie vertreiben, beide dazu berufen, ihm im Frieden nachzufolgen!

 

Schwestern und Brüder, 

wir Christen dürfen niemals aufhören, unsere Zusammengehörigkeit im Glauben zu betonen. Es war ein starkes Zeichen, dass Papst Franziskus setzte, als er persönlich den russischen Botschafter aufsuchte, um zum Frieden zu mahnen.

Unsere Gedanken sind besonders bei unseren lutherischen Geschwistern in der Ukraine und in Russland. Unser Gebet gilt dem Frieden unter den Konfessionen der einen christlichen Kirche, dem Frieden in Gerechtigkeit zwischen den Nationen. Im Glauben sind wir voller Hoffnung und Vertrauen: Die Mauern, die uns als Christen trennen, sind durch unseren Herrn schon überwunden – wir können und dürfen aufeinander zugehn.     

 

Als Menschen, die in einer Welt leben, in der Gier, Machtstreben, Hass und Gewalt noch mächtig sind, wissen wir: Grenzen sind nötig, damit Frieden möglich ist – und die Sicherung der Grenzen ist ein Friedensdienst. So hoffen wir, dass die Friedensordnung mit stabilen Grenzen in Europa wieder hergestellt und nicht mehr angetastet wird.         

Mit den Menschen in der Ukraine, die auch die Kornkammer Europas genannt wird, vertrauen wir auf die Worte des 147. Psalms:  

Gott schafft deinen Grenzen Frieden und sättigt dich mit dem besten Weizen. Amen.   

 

Friedensgottesdienst

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