Zu ihm kommt als zu dem lebendigen Stein, der von den Menschen verworfen ist, aber bei Gott auserwählt und kostbar. Und auch ihr als lebendige Steine erbaut euch zum geistlichen Hause und zur heiligen Priesterschaft, zu opfern geistliche Opfer, die Gott wohlgefällig sind durch Jesus Christus. (1. Petrus 2,4-5)

„Liebst Du Deine Kirche?“ Ich nehme an, die meisten werden bei dieser Frage an das Gotteshaus der eigenen Gemeinde denken – egal, ob es sich um den prächtigen Barockbau von „St. Peter und Paul“ handelt oder um den schlichten, aber anheimelnden Gottesdienstraum der Gnadenkirche. Wer mit einer bestimmten Kirche groß oder gar alt geworden ist, der hat sie lieb gewonnen – allein schon durch die vielen Erinnerungen und Gefühle, die mit ihr verbunden sind. Jeder Stein der Kirche spricht zu ihm: Von der Langeweile, mit der man einen Pflichtgottesdienst mit der Schulklasse abgesessen hat; von dem großen Stolz, mit dem man – chic ausstaffiert -, unter den Klängen von Posaunenchor und Orgel bei der Konfirmation in die Kirche einzog; von der eigentümlichen Mischung aus Hochgefühl und Ängstlichkeit, Nervenflattern, Liebe und Vertrauen, die mit der eigenen Trauung verbunden war; vom Gefühlsstau beim Trauergottesdienst für einen geliebten Menschen, der sich in heftigem Weinen löste, als der Pfarrer in der Predigt an das Lieblingsessen des Verstorbenen erinnerte: Rindfleisch mit Kren …   

„Ja, ich liebe meine Kirche!“, so würden wohl viele antworten, auch solche, die selten oder fast nie hingehen!   

 

Aber jetzt kommt es! Wenn ich Dich frage: „Liebst Du Deine Kirche?“, dann meine ich nur am Rande das steinerne Gebäude! Ich frage Dich:  „Liebst Du das Haus aus lebendigen Steinen“, die „Wohnung Gottes,  die durch den Heiligen Geist“ aus Menschen errichtet wird. Wie stehst Du zu der?!

Komm mir jetzt nicht mit Deinem Ärger über die „Institution“, über das ewige Rumpolitisieren der EKD-Spitze oder über die Kirchensteuer! In Deiner Kirche steht die Ratsvorsitzende der EKD eher selten auf der Kanzel, der Kirchensteuer begegnest Du in der Gestalt von Menschen, etwa Christl, Gabi oder mir, deren Stellen durch sie bezahlt werden, und von einer „Institution“ ist hier am Ort kaum was zu spüren.
Was Du hier erlebst, das ist die Wohnung Gottes, gebaut aus waschechten Menschen, das ist das Haus des Herrn, dessen Steine aus Fleisch und Blut bestehen!

Hier triffst Du die Nachbarin, die immer rumnörgelt, wenn beim Bäcker wieder  die Rosinenbrötchen ausverkauft sind. Den Pfarrer, der es immer eilig hat. Deine alte Lehrerin, bei deren strengem Blick Dir immer noch der Angstschweiß ausbricht. Und den Kleinunternehmer, der seine Angestellten regelmäßig zur Minna macht. Und viele andere Menschen, bei denen Du Dich freust, wenn Du sie siehst, die aber auch alle ihre Mucken und Macken haben. Wenn Du ihnen denn in der Kirche begegnest – denn das setzt voraus, dass Du selber hingehst!     

Sprechen wir es aus, wie es ist: Wenn es um Kirche geht, dann sind die Menschen, aus denen die Gemeinde besteht, manchmal schwerer zu lieben als das steinerne Gebäude. Offenbar haben Menschen mehr Ecken und Kanten, als die Granitquader oder Backsteine, aus denen das Gotteshaus errichtet wurde.

Aber es lohnt sich, die Kirche als Wohnung Gottes zu lieben, die der Heilige Geist als kluger Architekt aus Menschen gebaut hat!

Denn das Leben wird erst durch Menschen reich und lebenswert, die Liebe ist unsere Kraftquelle im Alltag und unser Trost in der Trauer. Und zur Liebe gehört es, Menschen nicht auf ihren Fehlern festzunageln. Auch über weniger liebenswürdige Eigenschaften hinweg zu sehen. Schwächen zu verzeihen. Sich an die eigene Nase zu fassen, ob man wirklich so viel besser ist, als die anderen. Nicht alles bierernst zu nehmen, was Menschen so daherreden, wenn der Tag lang ist, sondern es mit einem Lachen wegzuwischen.

Aber über die richtigen, echten, schwerwiegenden Fehler auch ehrlich und offen mit dem anderen zu sprechen – und sich nicht verbittert in den Schmollwinkel zurückzuziehen und böse zu glotzen. Ja, und – um das Wichtigste nicht zu vergessen – dankbar zu sein, dass man selbst angenommen, bejaht, geliebt wird, mit all den eigenen Fehlern, Schwächen, Unzulänglichkeiten und den Charakterzügen, die man nicht mal selber liebenswürdig findet …denn zu den lebendigen Steinen gehöre schließlich auch ich selbst! Die Kirche besteht aus Menschen, aus unserer eigenen Spezies – und auch im homo sapiens sapiens steckt noch viel vom wilden Mann oder biblisch gesagt: vom alten Adam!

„Liebst Du Deine Kirche?“ – diese Frage dürfen wir nicht nur uns selbst und unseren Mitchristen, wir dürfen sie auch Jesus Christus stellen. Im Epheserbrief finden wir die Antwort: „Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie auch Christus die Gemeinde geliebt hat und hat sich selbst für sie dahingegeben, um sie zu heiligen.“ (Eph 5,25-26) An der Liebe der Ehegatten zueinander hat der Apostel Paulus seine (manchmal berechtigten) Zweifel, an der Liebe Christi zu seiner Kirche nicht!  

Jesus Christus ist nicht für Steine gestorben, sondern für Menschen aus Fleisch und Blut, für Menschen mit Ecken und Kanten, für sündige Menschen, die seine Liebe und Gnade nicht verdient haben. Jesus Christus ist für sie gestorben, um sie mit Gott, seinem himmlischen Vater zu versöhnen! Um ihnen die Liebe zu erwerben, die sie so dringend brauchen! Um sie zur Umkehr zu rufen und auf den Weg des Heils zu führen! Um ihnen das ewige Leben zu geben!

Und weißt Du, was das Erstaunlichste ist?

Jesus Christus ist für MICH gestorben. Für mich, der ich schwach und fehlerhaft bin, müde und mit Schuld beladen, der ich oft mit anderen die Geduld verliere und mit mir selbst am meisten – er ist für mich gestorben, damit ich das alles an seinem Kreuz ablade und in seiner Gemeinde Ruhe finde für meine Seele.

Ich bete darum, dass Du das auch von Dir sagst und felsenfast darauf vertraust! Denn Jesus ist DEIN Heiland! 

Es ist gut das Gebäude aus Stein zu lieben, in dem wir alle – oder zumindest einige – zum Gottesdienst zusammen kommen. Aber es ist unvergleichlich wichtiger, die Kirche aus lebendigen Steinen zu lieben, die der Heilige Geist selbst erbaut hat – kein Mensch. Am allerwichtigsten aber ist es, den zu lieben, der diese Kirche geliebt und sich selbst für sie geopfert hat: Jesus Christus.

Und wenn wir im August die Kirchweih von „St. Peter und Paul“ feiern und im September die der Gnadenkirche, dann lasst uns daran denken: Wir, die Gemeinde Jesu, sind das Haus aus lebendigen Steinen, wir sind der Tempel Gottes, wir sind sein heiliges Volk und seine königliche Priesterschaft (1. Petrus 2,9)! Wir sind berufen, in dieser Welt seine Liebe sichtbar zu machen, mit der er uns, seine Kirche, liebt!

Ihr Pfarrer Martin Fromm     

Andacht zum Gemeindebrief Juli 2023

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