Liebe Schwestern und Brüder,

am 31. Oktober gedenken wir alljährlich der Reformation der Kirche. Meistens stehen dabei die Männer im Mittelpunkt: Martin Luther, Philipp Melanchthon, Paul Eber, Georg Spalatin, Lucas Cranach … Es gab aber auch Frauen, die für die Reformation große Bedeutung hatten – und eine von ihnen hat lange in unserer Gegend, in Zeilitzheim, gelebt und ist auch hier gestorben: Argula von Grumbach. Zum Reformationstag möchte ich mit einem Lebensbild an diese faszinierende Frau erinnern.

Allen eine gesegnete Zeit unter dem Schutz und Schirm unseres Gottes,

Euer Pfarrer Martin Fromm 

 

Argula von Grumbach, Heldin der Reformation 

Argula entstammte dem angesehenen Geschlecht der Reichsfreiherrn von Stauff. Vermutlich ist sie ungefähr im Jahr 1492 auf der Burg Ehrenfels in Beratzhausen geboren. Als Jugendliche kam sie an den Hof des bayerischen Herzogs Albrecht in München. Ihre Bildung wurde – ungewöhnlich für eine Frau in dieser Zeit – seit ihrer Kindheit sehr gefördert; Argula lernte Lesen, Schreiben und Rechnen, allerdings kein Latein, das den Schlüssel zur Gelehrsamkeit darstellte. Noch ungewöhnlicher war es, dass sie zu ihrem 10. Geburtstag (also etwa im Jahr 1502!!!) von ihrem Vater Bernhardin eine deutsche Bibel geschenkt bekam. Es gab ja – vor Luthers Übersetzung des Neuen Testaments aus dem Griechischen von 1522 – schon eine Reihe von Übertragungen der lateinischen Vulgata ins Deutsche. Keine davon aber fand große Verbreitung – was maßgeblich daran lag, dass die mittelalterliche Kirche das Lesen der Bibel durch Laien unter Strafe gestellt hatte. Die Vor-Luther-Bibeln waren jedoch auch in einem sehr holprigen Deutsch geschrieben, weil sich die Übersetzer stark an die lateinische Grammatik angelehnten.  
Argula beschäftigte sich trotzdem so intensiv mit ihrer deutschen Bibel, dass sie später für ihre herausragende Bibelkenntnis selbst durch hochgebildete Reformatoren bewundert wurde.

1516 heiratete Argula von Stauff den fränkischen Edelmann Friedrich von Grumbach, der in Dietfurt im Altmühltal das Pflegeamt – ein Verwalteramt – im Dienste des bayerischen Herzogs bekleidete.

Argula von Grumbach hörte von der beginnenden Reformation in Wittenberg und war begierig nach Informationen. Sie hielt sich in der ländlichen Abgeschiedenheit Dietfurts über die Luthersache auf dem Laufenden. Nachrichten erhielt sie unter anderem vom sächsischen Kanzler Georg Spalatin. Spalatin schickte ihr auch Luthers deutsche Schriften zu, die sie mit Begeisterung las! Während ihr Mann, Friedrich, zeitlebens katholisch blieb, verschrieb sich Argula von Grumbach mit Herz, Mund und Hand der Reformation.

Und sie machte etwas für ihre Zeit gänzlich Ungewöhnliches: Sie, eine Frau ohne theologische Ausbildung, mischte sich in die geistlichen Debatten um die Reformation ein – und kämpfte für die Erneuerung des Glaubens auf der Grundlage der Heiligen Schrift. Für die katholischen Gelehrten, Ratsleute und Fürsten, an die sie ihre offenen Briefe schrieb – die sie zur weiteren Verbreitung drucken ließ – war ihr Verhalten schlicht unerhört! Bei den gebildeten Lesern aber kamen ihre konfliktfreudigen Verteidigungen des Luthertums nicht nur gut, sondern hervorragend an: Eines ihrer Flugblätter brachte es auf 16 Auflagen – ein damals sensationeller publizistischer Erfolg. Argula von Grumbach war ohne Zweifel die erste bedeutende evangelische Schriftstellerin!

Auf den Reformator von Nürnberg, Andreas Osiander, machte sie so tiefen Eindruck, dass er sich mit ihr über theologische Fragen austauschte.

Die erhaltenen Schriften Argula von Grumbachs stammen hauptsächlich aus dem Jahr 1523 – sie sind ein eigenes Jubiläumsfest wert. Argula von Grumbach kam zum Schreiben, weil sie sich über die Affäre um Arsakius Seehofer erregte. Seehofer, ein junger Magister an der Ingolstädter Universität, hatte in Wittenberg bei Melanchthon studiert und legte nun nach dem Vorbild seines Lehrers seinen Studenten die Paulusbriefe aus. Das war gefährlich, denn die Ingolstädter Universität war das Zentrum des Kampfes gegen die lutherische Theologie. Hier lehrte nicht nur Luthers härtester Gegner aus den Anfangsjahren der Reformation, Dr. Johannes Eck; der Kanzler der Universität, der Eichstätter Fürstbischof Gabriel von Eyb, machte die Vernichtung der Reformation zu seinem persönlichen Anliegen. Arsakius Seehofer wurde durch die Drohung mit dem Scheiterhaufen zum Widerruf gezwungen – mit dem Evangelienbuch in der Hand musste er seinen „Irrtümern“ abschwören. Dass man ihn überhaupt mit Widerruf und Verbannung in die Abtei Ettal davonkommen ließ, war allein dem Eingreifen des bayerischen Herzogs zu verdanken. 

Argula von Grumbach konnte in dieser Lage nicht schweigen: Sie schrieb an den Rektor der Universität Ingolstadt. Als die Reaktion ausblieb, wandte sie sich an den bayerischen Herzog, mit dem sie von ihrer Zeit bei Hofe her gut vertraut war. Sie verfasste auch einen Brief an den Stadtrat von Ingolstadt. Ihr war bewusst, wie ungewöhnlich es war, was sie hier tat – und berief sich darum auf Matthäus 10: Wer nun mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater und auf ihre Taufe! „Welcher Doctor ist je so hochgelehrt gewesen, der ein anderes Gelübde gethan hätte, als ich? Mir ist ebensowohl der Geist verheißen, als ihm, wie Gott sagt Joel 2: Ich will ausgießen meinen Geist über alles Fleisch, und eure Söhne und Töchter sollen weissagen.“ Der Satz sagt uns viel über ihr enormes geistliches Selbstbewusstsein!

Argula von Grumbach verurteilte, dass Seehofer zum Widerruf gezwungen worden war: „Es hat ja kein Mensch Gewalt, das Wort Gottes zu verbieten, noch darin zu regieren, allein das Wort Gottes soll und muss alle Dinge regieren. Sie heißen es lutherische Worte, es sind aber nicht lutherische, sondern Gottes Worte.“ Sie hatte Hoffnung, dass Seehofer – wie Petrus – seine Verleugnung bereuen und umkehren möge: „Es kann noch viel Gutes aus dem Jüngling werden.“

Für sich selbst sah sie keine Gefahr, dem Evangelium abtrünnig zu werden. Ihr wohl berühmtester Satz lautet: „Und ob es gleich dazu käme, davor Gott sei, daß Luther widerrufet, soll es mir nichts zu schaffen geben; ich baue nicht auf sein, mein oder irgend eines Menschen Verstand, sondern auf den wahren Felsen Christum selbst, welchen die Bauleute verworfen haben, der aber zum Eckstein gemacht ist, wie Paulus sagt.“

Dass manche männliche Theologen verwirrt waren, mit welcher frommen Beharrlichkeit die Frau auftrat, kann nicht überraschen. Als sie wegen ihrer Stellungnahme im Fall Seehofer Todesdrohungen aus Ingolstadt erhielt, antwortete sie mit einer Mischung aus gut christlicher Hoffnung und – man möchte fast sagen – „feministischem“ Spott: „Ich halte auch dafür, so ich die Gnade hätte, den Tod um seines Namens willen zu leiden, daß gar viel Herzen dadurch erweckt würden; ja, wenn ich allein stürbe, würden viel tausend Weiber wider sie schreiben.“  

Argula von Grumbach dachte theologisch weit über den Fall Seehofer hinaus – ihr Brief an den Herzog könnte glatt in unserer Zeit geschrieben sein! Sie wettert gegen den Umgang der Kirche mit Geld, gegen die – modern gesagt – sexuellen Übergriffe durch Pfarrer und dagegen, dass die Pfarrer nicht mehr in ihren ländlichen Gemeinden wohnen, sondern schlecht bezahlte und noch schlechter ausgebildete Vikare anstellen, die an ihrer Stelle auf den Dörfern die pastorale Versorgung übernehmen. Der Pfarrer in der Kreisstadt, der nur gelegentlich mal in seiner Landgemeinde vorbeischaut, ist ja in manchen Gegenden Deutschlands – und ich meine jetzt evangelische Gegenden! – heute wieder Wirklichkeit. Wenn überhaupt jemand am Ort einen geistlichen Dienst versieht, dann sind das ehrenamtliche Prädikanten oder Lektoren.

Besonders heftig geißelt Argula von Grumbach übrigens den Zölibat, den sie sofort abgeschafft sehen will – immerhin zwei Jahre vor Luthers Eheschließung mit Katharina von Bora. Die ersten evangelischen Prediger hatten zwar schon 1518 – also ein Jahr nach Luthers Thesenanschlag – geheiratet, aber die Pfarrehe war damals auch im evangelischen Raum noch keineswegs selbstverständlich. Argula von Grumbach zitiert einerseits die Bibel, verweist aber andererseits auch auf sich selbst und ihre Unfähigkeit zu einem Leben ohne körperliche Zärtlichkeit, wenn sie schreibt: „Paulus sagt 1 Cor. 7: Ein jeglicher Mann soll haben ein Weib, eine jegliche Frau soll haben ihren Mann, denn es ist besser freien, als Brunst leiden. Wenn ich Keuschheit gelobte, das wäre ebenso, als wenn ich geloben wollte, mit meinem Finger an den Himmel zu rühren oder zu fliegen; das steht nicht in des Menschen Gewalt. … Die Gnade ist nicht allen gegeben, welche Kutten und Platten [d.h., die Priestertonsur] tragen.“ Argula von Grumbach bestreitet also nicht, dass es Menschen gibt, die von Gott die Berufung zum ehelosen Leben haben – aber sie bestreitet mit Paulus, dass die Ehelosigkeit Voraussetzung für das geistliche Amt ist. Die Voraussetzung für das geistliche Amt ist allein der Glaube an Christus, an sein Wort und Werk, den der Heilige Geist im Menschen entzündet!
Mit Entschiedenheit redet sie dem Herzog ins Gewissen: „Es ist keine Person mehr werth zu halten, denn ein guter Prediger, der in Gottes Geist, und nicht im Buchstaben gelehrt ist; ein solcher wäre wohl am Ende der Welt zu holen, denn all‘ unser Heil liegt daran, daß wir Gottes Wort hören.“  

Der Herzog – in die Enge getrieben von dem Bekenntnismut dieser Frau, der er einmal versprochen hatte, er wolle ihr nicht nur Landesherr, sondern auch Vater sein – entließ schließlich ihren Ehemann aus seinem Verwalteramt.

Friedrich von Grumbach, selbst katholisch, aber seiner kämpferischen evangelischen Ehefrau wegen ohne eine gut bezahlte Stellung, musste nun mit seiner Familie vom Ertrag der eigenen Rittergüter leben, was wohl eher schlecht gelang. Die Ehe der beiden hat vermutlich unter der Situation gelitten. 1529 oder 1530 starb Friedrich von Grumbach.
Sicher überliefert ist, dass Argula von Grumbach im Juni 1530 Luther auf der Veste Coburg besuchte. Damals war Coburg der äußerste Zipfel des Kurfürstentums Sachsen, näher konnte Luther nicht an Augsburg heran, wo gerade der Reichstag zusammentrat, um sich mit der evangelischen Sache zu befassen. Hier wurde durch die Übergabe des Augsburger Bekenntnisses an Kaiser Karl V. am 25. Juni 1530 die Eigenständigkeit der lutherischen Kirche zu einer welthistorischen Tatsache. Und Argula von Grumbach, die Luther einmal in einem Brief als „ein einzigartiges Werkzeug Christi“ bezeichnet hatte, war beim Reichstag – natürlich nur als Zuschauerin – dabei.  

1533 heiratete Argula in zweiter Ehe den Grafen Burian Schlick zu Passau, wurde aber 1535 erneut Witwe. 1539 sterben auch zwei ihrer Kinder, Apollonia und Georg, nur ein Sohn  überlebte sie schließlich.    

Über das weitere Leben Argulas von Grumbach gibt es kaum Informationen.
Gestorben ist sie 1554 auf Schloss Zeiltzheim.

In einem ihrer Briefe legte Argula von Grumbach folgendes Glaubensbekenntnis ab – es mag auch uns inspirieren, offen für die Sache des Evangeliums einzutreten – und zeigt zugleich die ökumenische Weite dieser Frau der Reformation:

„Man heißt mich lutherisch, ich bin es aber nicht; ich bin im Namen Christi getauft, den bekenne ich, nicht Luthern; aber ich bekenne, daß ihn Martinus auch als ein getreuer Knecht bekennet. Gott helfe, daß wir solches nimmermehr verläugnen, weder durch Schmach, Schande, Kerker, Peinigung, noch auch durch den Tod! Das helfe und verleihe Gott allen Christen!“ Amen.

 

 

Zum Reformationstag 2023

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