Am Sonnabend, dem 26.01.2019, predigte in der Gnadenkirche Pastor Dr. Didi Panzo, der in der Demokratischen Republik Kongo mit traumatisierten Gewaltopfern arbeitet.
Thematisch und in den Grundaussagen orientierte er sich an seinem Manuskript; in der konkreten Ausführung seiner Predigt, die er vollständig frei in französischer Sprache hielt, wich er allerdings sehr weit davon ab. Die Predigt wurde direkt von Frau Christine Gumann gedolmetscht. Da weder ein Manuskript, noch eine Mitschrift vorhanden ist, ist es leider nicht möglich, die tatsächliche Predigt in Wiesentheid zu dokumentieren.
Am Sonntag, dem 27.01.2019, aber war Dr. Panzo Gastprediger im Gottesdienst in der evang.-luth. Marienkirche in Abtswind. Hier folgte er weitestgehend seinem englischsprachigen Manuskript. Die Predigt, wie sie Dr. Panzo in Abtswind hielt, und die in den zentralen Aussagen mit der Predigt in Wiesentheid übereinstimmt, wird an dieser Stelle widergegeben.
Die Übersetzung des Manuskripts besorgte Frau Pfarrerin Beate Krämer (Abtswind). Wir danken für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.
Und Jesus kam in der Kraft des Geistes wieder nach Galiläa; und die Kunde von ihm erscholl durch das ganze umliegende Land. Und er lehrte in ihren Synagogen und wurde von jedermann gepriesen.
Und er kam nach Nazareth, wo er aufgewachsen war, und ging nach seiner Gewohnheit am Sabbat in die Synagoge und stand auf, um zu lesen. Da wurde ihm das Buch des Propheten Jesaja gereicht. Und als er das Buch auftat, fand er die Stelle, wo geschrieben steht (Jesaja 61,1-2): „Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat und gesandt, zu verkündigen das Evangelium den Armen, zu predigen denGefangenen, dass sie frei sein sollen, und den Blinden, dass sie sehen sollen, und die Zerschlagenen zu entlassen in die Freiheit und zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn.“
Und als er das Buch zutat, gab er`s dem Diener und setzte sich. Und aller Augen in der Synagoge sahen auf ihn. Und er fing an, zu ihnen zu reden: Heute ist dieses Wort der Schrift erfüllt vor euren Ohren.
Liebe Gemeinde,
heute möchte ich mit Ihnen über Politik sprechen. Wenn ich Politik sage, meine ich damit nicht nur die gewählten Amtsträger und Regierungsgeschäfte, ich meine auch Sie und mich, unsere Meinungen, unsere Entscheidungen und unsere Beziehungen. Ich möchte einige Beispiele nennen, woran ich dabei denke.
Ich denke an weltweite Konflikte, Vorurteile und das Leben der vielen Menschen in aller Welt. Ich denke an syrische Flüchtlinge und Flüchtlinge allgemein, Einwanderung und den Konflikt im Kongo, wo wir arbeiten. Ich denke an Wirtschaftssysteme, die zu ungleichen Einkommen führen und diese Entwicklung weiter vorantreiben. Ich denke an Stärke und Frieden unter Waisen, Witwen und verlassenen Kindern. Ich denke an die Waffengewalt und ihre tragischen Folgen in den USA. Ich denke an Menschen, die hungrig schlafen gehen und sich beim Aufwachen fragen, ob und was sie an diesem Tag essen werden. Ich denke an Gewalt und Diskriminierung gegen Frauen. Ich an die Konflikte in christlichen Kirchen und Gemeinden. Ich denke an die Kämpfe und Herausforderungen, die das Leben in unserer Kirche, in unseren Ehen und Familien, Freundschaften und Beziehungen mit sich bringt.
Vermutlich denken manche von ihnen im Stillen: „Ich bin heute nicht in die Kirche gekommen, um etwas über Politik zu hören.“ Andere denken vielleicht: „Das gehört sich nicht. Das kann er doch nicht machen.“ Aber einige werden sich vielleicht darauf einlassen und denken: „Das könnte interessant werden. Ich bin gespannt, was jetzt kommt.“
Es mag wohl stimmen, dass Politik kein Thema für höfliche Konversation ist. Ich denke aber, das Thema lässt sich in einer ehrlichen Unterhaltung gar nicht vermeiden. Und zwar aus diesem Grund. Egal was Politik heute bedeutet und wie Politik heute gemacht wird, ihre grundlegende Bedeutung und Aufgabe ist es, Beziehungen zu ordnen. Es geht darum, wie wir zusammenleben und wie wir miteinander auskommen. Es geht um Menschen. Diese Anliegen sind auch zentral für die Praxis unseres christlichen Glaubens. Wir glauben, dass Gott uns etwas zu sagen hat darüber, wie wir leben und wie wir miteinander umgehen. Wir öffnen uns dafür, wie Gott unser Leben und unsere Beziehungen in Ordnung bringen will. So betrachtet, ist die Tatsache, dass Gott Mensch geworden ist, dass er Fleisch und Blut angenommen hat, eine zutiefst politische Äußerung. Das Leben von Jesus ist eine politische Äußerung, die unsere Beziehung zu Gott und zueinander in Ordnung bringt. Sein Leben lehrt und zeigt uns, wie wir sein sollen.
Ich möchte ganz klar sagen, in welche Richtung ich gehe. Ich will nicht über Ihre oder meine politische Meinung sprechen. Ich bin nicht interessiert an Parteipolitik oder nationaler Politik. Ich möchte, dass wir uns auf die Politik von Jesus konzentrieren und sie anhören. Ich möchte, dass wir offen werden für die Politik von Jesus, dass wir uns herausfordern und kritisieren lassen, dass wir von ihr unsere politische Meinung verändern lassen. Die Politik von Jesus will unser Leben beeinflussen und all die Beispiele, die ich am Anfang der Predigt genannt habe. Die Politik von Jesus ist anders als alle Politik, die wir kennen, erleben und ausüben. Seine Politik ist erfüllt, geleitet und gesalbt vom Heiligen Geist, vom Lebendigen Gott.
Das politische Leben von Jesus beginnt nicht damit, dass er sich einer Partei oder ihren Anhängern anschließt, sondern damit, dass er sich taufen lässt. Er wurde eingetaucht in das Wasser der Schöpfung, der Himmel öffnete sich und der Geist Gottes kam herab auf ihn in Form einer Taube und eine Stimmel vom Himmel erklärte: „Du bist mein geliebter Sohn; an dir habe ich Wohlgefallen.“ Dann wurde er vom Geist in die Wüste geführt, wo er den Versuchungen und Versuchern aller Politik widerstand: Materialismus, Macht, Eigeninteressen. In der Wüste gewann Jesus seine Persönlichkeit, entwickelte und klärte seine Botschaft und die Richtung seines Lebens. Er verließ die Wüste erfüllt und gestärkt durch den Heiligen Geist und lehrte in den Synagogen in Galiläa. Den Menschen gefiel, was sie hörten. Jesus wurde „überall gepriesen“.
In diesem Evangelium kommt Jesus nach Nazareth, die Stadt, in der er aufgewachsen ist, in die Synagoge, wo er gebetet hat, und zu Menschen, die ihn kennen. Er liest aus dem Buch des Propheten Jesaja:
„Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat und gesandt, zu verkündigen das Evangelium den Armen, zu predigen den Gefangenen, dass sie frei sein sollen, und den Blinden, dass sie sehen sollen, und die Zerschlagenen zu entlassen in die Freiheit und zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn.“
Diese Worte beschreiben die Politik von Jesus. Frohe Botschaft für die Armen, Freilassung für die Gefangenen, Blinde sollen sehen, Unterdrückte frei werden, Gottes Gnade soll offenbar werden – das sind die Bausteine für die Politik von Jesus, sein politischer Standpunkt. Es sind keine Wahlkampfversprechen, sondern es ist Realität, eine Realität, die durch Jesus schon gegenwärtig ist. „Heute“, sagt Jesus, „ist dieses Wort der Schrift erfüllt vor euren Ohren.“
Diese Worte des Jesaja und der Kommentar von Jesus dazu sind die ersten öffentlichen Worte, die wir bei Lukas von Jesus hören. Jesus zitiert Jesaja nicht wörtlich, sondern wählt die Passagen mit Bedacht aus und stellt sie neu zusammen, um seine Botschaft zu untermauern. Die Botschaft wird oft als seine Antrittsrede oder Regierungserklärung bezeichnet. Jesus stellt die Grundlagen seiner Politik dar, wie er seinen Auftrag versteht, seine Prioritäten und seine Ziele. Er zeigt uns seine Vision, wie Beziehungen neu strukturiert werden: Frohe Botschaft für die Armen, Freilassung für die Gefangenen, Blinde sollen sehen, Unterdrückte frei werden, Gottes Gnade will er verkündigen.
Von da an wird alles, was Jesus tut, sich darauf beziehen: Frohe Botschaft, Freiheit, neu sehen und göttliche Gnade. Seine Politik offenbart sich darin, dass er Kranke heilt, Dämonen austreibt, Sünden vergibt, Hungrige satt macht, Tote auferweckt. Seine Politik ist das Zentrum und der Inhalt seiner Kreuzigung und Auferstehung.
Im Herzen der Politik von Jesus steht eine unausgesprochene und doch immer gegenwärtige Frage: „Wo tut es weh?“ Das ist die Frage, die Jesus antreibt und leitet in seinem Leben und seinem Dienst. „Die Gesunden brauchen keinen Arzt, sondern die Kranken“, sagt Jesus einmal. Wo tut es weh?
Um das zu erfahren, lesen Sie Nachrichten, denken Sie über Ihr leben nach. Und wir werden klar erkennen, wie sehr wir eine neue Politik in der Art von Jesus brauchen. Denken Sie noch einmal an die Beipiele vom Anfang. Jedes erzählt eine Geschichte von jemandem oder vielen, die arm, gefangen, blind, unterdrückt sind und Gottes Zuwendung brauchen. Es sind Geschichten von Schmerz und Verletzung, und manchmal ist es vielleicht unsere ganz persönliche Geschichte.
Die Politik von Jesus ist weit und umfängt alle. Niemand bleibt außen vor. Jesus stellt keine Bedingungen, verlangt keine Qualifikationen. Gottes Zuwendung kennt keine Grenzen und keine Lieblinge.
Das politische Programm von Jesus richtet sich nicht danach, ob jemand gut oder schlecht ist, dazu gehört oder nicht. Für Jesus macht es keinen Unterschied, wer du bist, was du getan oder unterlassen hast oder wie du dein Leben führst. Eigentlich ist es ganz einfach. Du bist arm? Frohe Botschaft für dich. Du bist ein Gefangener? Du sollst freigelassen werden. Du bist blind? Du sollst neu sehen. Du bist unterdrückt? Geh in Freiheit. Gottes Gnade wird nicht ausgeschüttet über die Armen, Gefangenen, Blinden, Unterdrückten, weil sie gut und fromm sind, sondern weil Gott gut und gerecht ist.
Ich möchte Sie etwas fragen: Wie verhält sich die Politik von Jesus zu Ihrer Politik? Wie verhält sie sich zur Parteipolitik und unserer nationalen Politik? Frohe Botschaft für die Armen, Freilassung für Gefangene, neues Licht für die Blinden, Freiheit für die Unterdrückten, Gottes Gnade verkündigen. Wenn das die Politik von Jesus ist und wenn wir seine Jünger sein wollen, ihm nachfolgen, ihn lieben, muss es dann nicht auch unsere Politik sein?
Was würde geschehen, wenn wir uns den politischen Standpunkt von Jesus zu eigen machen würden? Wenn wir unser politisches Denken und Reden beginnen würden mit der Frage „Wo tut es weh?“ Wenn wir damit in manche schwierigen und konfliktträchtigen Situationen hineingehen würden? Wenn wir daran unsere Prioritäten und Entscheidungen ausrichten würden?
Da sein für und Mitgefühl für andere Menschen würden an die Stelle treten von reinen Problemlösungen und dem Buhlen um Wählergunst. Wir würden mehr zuhören als reden. Macht würde in Erscheinung treten als Zusammenarbeit. Wir bräuchten den Mut und den Willen, anderen in ihren Schmerzen beizustehen, müssten die Verletzlichkeit riskieren, dass andere uns in unseren Schmerzen beistehen. Wir würden Räume, Menschen, uns selbst öffnen für Gottes Gnade statt uns zu verschließen. Wir würden erleben, dass sich das Wort der Schrift erfüllt hier, heute, jetzt in diesem Moment.
Das ist die Art Politik, die ich unterstützen möchte, von der ich ein Teil sein möchte. Wie sieht es bei Ihnen aus?
„Heute hat sich dieses Wort der Schrift erfüllt vor euren Ohren.“ Lassen wir dieses Wort der Schrift nicht zum einen Ohr hinein- und zum anderen herausgehen. Lassen Sie es uns nutzen, um Gottes Herrlichkeit zum Durchbruch zu verhelfen.