Andacht zu Palmarum und zur Kar- und Osterzeit:

So steht geschrieben im Buch des Propheten Sacharja im 9. Kapitel: Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin.

Gemeinde des Herrn Jesus Christus, Schwestern und Brüder,

die Aufregung ist riesengroß an diesem Morgen in Jerusalem. Ein Wort macht die Runde – ein uraltes Wort des Propheten Sacharja.

Der Prophet Sacharja hat vor Jahrhunderten angekündigt: Ein neuer König wird in Israel die Herrschaft übernehmen – ein König nach Gottes Herzen und in seiner Macht. Ein armer Mann wird es sein, keiner von den Reichen und Mächtigen. Schlicht, demütig und ohne Vermögen wird er sein. Er wird anders herrschen, als alle vor ihm: Nicht als Herr, sondern als Helfer seines Volkes, getragen von der Liebe der Menschen. Er wird nicht auf einem prächtigen Pferd in Jerusalem einziehen, sondern – wie es sich für ein solchen demütigen Herrscher gehört – auf dem Reittier der einfachen Leute, dem Esel.

Jetzt, so heißt es, erfüllt sich die alte Verheißung!  

Von überallher kommen Menschen aufgeregt herbeigelaufen und rufen einander auf der Straße zu: „Habt ihr’s gehört: Jetzt erfüllt sich die Verheißung: Der König ist unterwegs. Bald wird er auf seinem Esel ankommen. Bereitet Euch vor, ihn zu empfangen! Jauchze Jerusalem!“

So strömen die Massen herbei, um den zu sehen, auf den sie seit Jahrhunderten warten: den Messias. Und sie wollen nicht nur sehen – sie wollen ihn richtig willkommen heißen – freue dich Tochter Zion. Sie brechen Zweigen von den Bäumen, bedecken den Straßenstaub mit ihren Kleidern, damit der König sich nicht nur ja nicht mit einem Sandkorn beschmutzt, wenn er den Boden der heiligen Stadt betritt. 

Langsam macht sich Jesus auf seinem Esel vom Ölberg herab auf den Weg in die Heilige Stadt – immer wieder wird der Zug angehalten – versperren die Menschenmassen die Straßen.

Unten in der Stadt drängt sich das Volk am Straßenrand – wartet auf den König und auf die GERECHTIGKEIT, die nun anbrechen wird. Denn so hat es der Prophet Sacharja vorausgesagt: Der König, der Gerechte, wird Gerechtigkeit bringen.

GERECHTIGKEIT – das Wort klingt in den Ohren des Volkes wie eine Zauberformel. GERECHTIGKEIT stopft das Loch im Magen, GERECHTIGKEIT dämpft den Zorn im Herzen, GERECHTIGKEIT macht die müden Hände kraftvoll und stark. GERECHTIGKEIT, GERECHTIGKEIT!

Ein Bettler sitzt mitten im Gedränge am Gehsteig – hier hat er sein normales Lager: Eigentlich ist es nur eine schmutzige Decke auf die  mitleidige Menschen im Vorbeigehen ein paar Groschen werfen; sie dient ihm als Tischdecke, wenn er sein karges Mahl einnimmt und als Schlafdecke, wenn er sich nachts auf dem harten Stein zusammenrollt um ein paar Stunden dem Alltag zu entfliehen. Er wartet sehnsüchtig auf Jesus – und die Gerechtigkeit. Er schaut auf seine Lumpen herab – und redet vor sich hin: „Heute Nacht werde ich in einem prächtigen Bett schlafen – feine Leinendecken, weiche Federn, bestes Stroh. Nie mehr harter Steinboden! Und keine Lumpen mehr – nur noch Samt und Seide. Das habe ich mir in den Hungerjahren verdient! Denn jetzt, jetzt endlich, kommt die Gerechtigkeit!“           

Eine Frau lehnt sich an eine Hauswand – sie muss aus dem Geschiebe und Geschubse heraus, braucht ein wenig Ruhe. Die Frau ist vorzeitig grau geworden, sie fühlt sich schwach – aber in ihren Augen brennt ein Feuer und auf ihrem Gesicht liegt ein harter Zug: „Gerechtigkeit, darauf warte ich seit Jahren!“ Sie hatte einen Sohn, wild war er, unbeherrscht – aber sie hat ihn heiß geliebt. Und auch in ihrem Sohn loderte die Flamme, der glühende Wunsch nach Gerechtigkeit. Kaum war er der Kindheit entwachsen, da fasste er auch schon den Beschluss: „Kampf den römischen Besatzern!“   Mit seinen Freunden schmierte er heimlich Freiheitsparolen an die Wände im Viertel, warf Steine auf die römische Patrouille. Sie, die Mutter, wusste es. Sie fürchtete um den Sohn, sie sandte heiße Gebete für ihn zu Gott, aber sie verbot es ihm nicht. Wie auch: Er hätte ja sowieso nicht auf sie gehört – außerdem: Hatte er nicht Recht? Die Frau ballt die Hand zur Faust und schluckt, wenn sie daran denkt: Die Römer haben ihren Sohn verschleppt. Er und seine Freunde hatten mal wieder Steine geworfen – da kam es zu einem Handgemenge mit einem Trupp Soldaten – sie hatten ihn gepackt und mitgezerrt. Danach hatte ihn keiner mehr gesehen! Wo er war? In einem dunklen Kerker, als Ruderer auf einer Galeere, als Sklave in einem Bergwerk, vielleicht tot? Sie wusste es nicht. „Aber jetzt, jetzt kommt der gerechte König – er wird Vergeltung üben für meinen Sohn. Jetzt sollen die römischen Kinder bluten, jetzt sollen die römischen Mütter heulen, jetzt soll der römische Kaiser zittern – so wie wir all die Jahre! Das ist Gerechtigkeit!“

Ein gutgekleideter Mann schaut – mitten unter dem fröhlichen lärmenden Volk – sorgenvoll drein. Ihm ist nicht wirklich nach Jubel zumute. Das Wort Gerechtigkeit macht ihm Angst. Nein, er ist kein böser Mensch: Er liebt seine Frau und seine Kinder; seine Arbeiter bezahlt er ordentlich; er hat nie einen Geschäftskunden gezielt betrogen – und für die Armen, die an seiner Tür klopften, hat er auch immer eine Münze übrig gehabt. Aber jetzt, jetzt steht ihm die Frage auf dem Gesicht geschrieben: „Habe ich genug getan? Ich bin anständig, aber bin ich auch gut? Wie oft bin ich aufgebraust, wie oft habe ich in Gedanken oder auch lauten Worten auf den nervigen Nachbarn geschimpft – nervig, ist das nicht schon wieder ein Schimpfwort, wie oft habe ich das Gebet vernachlässigt und war nicht bei der Sache, wenn Gottes Wort verkündigt wurde …? Wenn nun wirklich die Gerechtigkeit kommt – wie soll ich da bestehen? Wird mich der gerechte König nicht in Bausch und Bogen verdammen? Wird er nicht sagen: Das Reich Gottes gehört den Guten, nicht aber den Anständigen!“ Und er würde am liebsten zum Tempel laufen, um ein großes Opfer für seine vielen kleinen Sünden zu bringen – aber dafür ist es wohl zu spät!

Schwestern und Brüder,

merkt Ihr’s? Die Fragen und Erwartungen – die sind durch und durch menschlich! Die sind so durch und durch menschlich, dass sie für die Zeit Jesu zutreffen, aber auch für hier und heute.

Wenn das Wort „Gerechtigkeit“ fällt, dann erwarten einige die Revolution, die „die da oben“ stürzt und „die da unten“ an die Macht bringt. Auch heute gibt es viele solche Vorstellungen – und sie bringen Menschen auf die Straßen!
Wenn das Wort „Gerechtigkeit“ fällt, dann erwarten viele Vergeltung für das Unrecht, das ihnen widerfahren ist. Auch heute hegen viele diese Erwartung – und sie sehnen den Tag herbei!

Wenn das Wort „Gerechtigkeit“ fällt, dann denken manche Menschen an die Schuld, die sie auf sich geladen haben – und Angst steigt in ihnen auf!

Schwestern und Brüder,

das alles sind durch und durch menschliche Vorstellungen, Erwartungen, Hoffnungen und Sorgen. Aber ist das auch die Gerechtigkeit, die Jesus bringt?

Martin Luther erklärt: „Die Gerechtigkeit, die hier im Evangelium gemeint ist, ist in Wirklichkeit gar nichts anderes als Barmherzigkeit, und zwar eine unbeschreibliche: dass er nämlich unsere Sünden wegnimmt und uns mit seiner eigenen Gerechtigkeit schmückt. Er kommt nicht, um dich zu verdammen, und in der Absicht, im Gericht mit dir zu rechten. Vielmehr heißt er der Gerechte, weil er dich gerecht macht, der du ungerecht bist und von der Sünde nicht loskommen kannst. … Gerechtigkeit – so heißt das Kleid, womit er alle schmücken will, die aus eigenen Kräften sich nicht herausarbeiten konnten; das will er den Seinigen anlegen, dass sie gerecht und heilig seien, wie er selber es ist.“   

Schwestern und Brüder,

diese Gerechtigkeit haben die Massen damals nicht haben wollen – und deshalb ist die Stimmung des Volkes vom Palmsonntag bis zum Karfreitag völlig gekippt. Die Gerechtigkeit, die Jesus bringt, ist Frieden mit Gott, ist Heil, ist das sündenfreie, ewige Leben im Reich Gottes. Er erwirbt uns diese Gerechtigkeit am Kreuz auf Golgatha. Dort trägt er unsere Ungerechtigkeit – und schenkt uns seine Gerechtigkeit.

Wenn diese Gerechtigkeit suchst – diese Gerechtigkeit, die wirklich durch trägt in alle Ewigkeit – dann ist Jesus der Mann für Dich!  

Dann komm herzu, stimme ein in den Jubel und rufe von ganzem Herzen:

Hosianna – du Sohn Davids, komm, komm zu mir! Amen.      

Allen Gottes reichen Segen für die Kar- und Ostertage,

Euer Pfarrer Martin Fromm

Andacht zu Palmarum und zur Kar- und Osterzeit
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